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Kurzdorf setzt auf Nachbarschaft

Beitrag Thurgauer Zeitung vom 16. Dezember 2015.

Mit dem «Kurz-Dorf-Träff» erhält Frauenfeld ab Januar einen neuen Begegnungsort. Er ist Teil der Initiative «Älter werden im Quartier». Doch das Projekt möchte mehr sein als eine reine Hilfestellung für ältere Menschen.

KATHARINA BRENNER

FRAUENFELD. Auf den Tischen im grossen Saal des Eisenwerks liegen am Dienstag «Fang den Hut» und ein Memory mit Schweizer Motiven aus. Sie sind ein Vorgeschmack auf den «Kurz-Dorf-Träff», der hier am 6. Januar zum ersten Mal stattfindet und von da an jeden Mittwoch von 14 bis 17 Uhr. Am ersten Mittwoch im Monat gibt es ausserdem ab 11.45 Uhr einen Mittagstisch mit Essen aus der Eisenbeiz-Küche (unsere Zeitung berichtete). «Der Begegnungsort ist zwar im Kurzdorf, er soll aber für alle offen sein», sagt Sonja Winkler, eine der Initiantinnen. Wer hier herkommt, kann Spiele spielen, Zeitung lesen, neue Leute kennenlernen oder einfach nur unter Leuten sein. Einen Kosumationszwang gibt es nicht. Winkler sagt, sie freue sich, wie gut das Projekt im Vorfeld ankomme. Heute abend findet ein Treffen mit 35 Interessierten statt.

Helfende aus der Nachbarschaft
Eine geringere Resonanz erfährt indes die Arbeitsgruppe Nachbarschaftshilfe. «Wir hoffen, dass wir noch mehr Interessenten finden», sagt Annemarie Tuchschmid, eine der Verantwortlichen. Zusammen mit dem «Kurz-Dorf-Träff», der Interessengemeinschaft Wohnen und der Talentbörse ist die Nachbarschaftshilfe eine der Arbeitsgruppen von «Älter werden im Quartier» (AWIQ). Dabei handelt es sich um ein Projekt, das die Stadt Frauenfeld lanciert hat, um das Leben von älteren Menschen im Quartier zu verbessern. Die Nachbarschaftshilfe sei kurzfristig und unentgeltlich, eben eine «echte Nachbarschaftshilfe», sagt Tuchschmid. Sie nennt als Beispiel die ältere Frau aus dem dritten Stock, der man spontan am Freitagabend die Zeitungen bündelt und runterträgt, weil sie es nicht mehr kann. Tuchschmid vermutet, dass wahrscheinlich viele Angst hätten, zu viel Zeit in die Nachbarschaftshilfe investieren zu müssen, und sich deshalb nicht beteiligen möchten. Doch das sei nicht die Absicht des Vorhabens.

Bezahlbares Wohnen im Alter
Die Interessengemeinschaft Wohnen, eine Arbeitsgruppe des Projekts Awiq, setzt sich für bezahlbaren Wohnraum im Alter ein. Viele alte Menschen würden in ihren Häusern wohnen bleiben, auch wenn das nicht mehr ihren Bedürfnissen entspreche, sagt Christine Courti von der IG Wohnen. Der Grund dafür seien die hohen Mieten für Wohnungen. Gleichzeitig gebe es in Frauenfeld Bedarf an mehr Wohnraum für junge Familien. Eine Lösung sieht die IG Wohnen im genossenschaftlichen Wohnen für alte Menschen. Die Gruppe habe sich erfolgreiche Projekte dieser Art in Winterthur und Zürich angesehen. Zehn Wohnungen reichten aber nicht aus, sagt Courti. Es brauche Gebäude mit 80 bis 100 Wohneinheiten: für kleinere, mittlere und grosse Wohnungen. «Dafür brauchen wir Bauland.» Die Gruppe wisse, dass das schwierig werde. Insbesondere, da sie zentrumsnah bauen möchte. Gerade für alte Menschen sei es aber wichtig, alles zu Fuss erreichen zu können. Die IG Wohnen möchte sich mit einem Aufruf an die Bevölkerung richten, da sie auf das Bauland von Privatpersonen angewiesen sei, sagt Courti. Die Stadt unterstütze das Vorhaben, wo sie könne, sagt Stadträtin Elsbeth Aepli Stettler. Das Hochbauamt arbeite mit der IG Wohnen zusammen und sei offen für Vorschläge. Stadteigene Bauflächen im Zentrum seien jedoch rar. (kbr)

 

Mit eigenen Talenten helfen
Die Nachbarschaftshilfe arbeitet eng mit der Talentbörse zusammen. Auch hier sind alle Leistungen kostenlos. Es sei ein Geben und Nehmen, sagt Fritz Meister, einer der Initianten. Jeder könne mit seinen Begabungen anderen helfen oder von den Talenten anderer profitieren. Es ist ein Muster, das sich durch das Projekt zieht: die Initianten möchten das Miteinander im Quartier und in ganz Frauenfeld fördern. In einem Jahr wird die Stadt das Projekt evaluieren. Geht es nach der Interessengemeinschaft Wohnen, wird es auch Baumassnahmen geben.

Ab April soll es los gehen
Die Nachbarschaftshilfe Kurzdorf ist Teil des Projekts AWIQ. Die Nachbarschaftshilfe ist eine politisch und konfessionell neutrale Organisation, die allen Quartierbewohnerinnen und -bewohnern zur Verfügung steht. Die Teilnahme ist freiwillig und unentgeltlich. Die Tätigkeiten sind kurzfristig. Dazu können Vorhänge aufhängen, einkaufen, Katzen füttern oder Altglas entsorgen gehören. Am 1. April 2016 nimmt die Nachbarschaftshilfe ihre Arbeit auf. Über einen Telefondienst werden die Verantwortlichen dann Hilfesuchende und Helfende vermitteln. Auf beiden Seiten werden noch Interessierte gesucht. (kbr)

 

Quelle: Thurgauer Zeitung, 16.12.2015